Quantcast
Channel: creatimm // Timm Jelitschek » Internet
Viewing all articles
Browse latest Browse all 5

Digital ist alles und nichts ist digital

$
0
0

Von der Digitalität und Nicht-Digitalität der Gesellschaft

MacBook Spiegelung

Jeder interessierte Leser der es bis zu dieser Zeile geschafft hat, wird sie wohl gelesen haben: Die Phrase, dass alles und nichts digital sei. Um denjenigen direkt die Troll-Grundlage zu entziehen, die schon die mentalen Messer gewetzt haben und bereit waren einen möglichst vernichtenden Kommentar zu hinterlassen ob meiner kühnen Behauptung, müssen ihren Eifer leider etwas bremsen. Denn mir geht es weniger um die trennscharfe Definition von Digitalität, als um das, was gemeinhin mit ihr assoziiert wird.

Denn auch wenn dieser Tage viele mit Buzz-Wörtern wie Entschleunigung um sich werfen und Giesbert Damaschke Ende letzten Jahres auf dem Hyperland Blog sogar mit ‘Zurück zum Papier!‘ titelte, befinden wir uns doch weiterhin in einer informationstechnologischen Umbruchphase. Was vor wenigen Jahren noch wie Science-Fiction klang, ist heute Realität. Unser Zuhause wird zum Smart Home, unser Telefon zum Smartphone (man beachte die inkonsistente deutsche Schreibweise dieser neuartigen Anglizismen). Nachschlagewerke in Buchform – wie die Encyclopaedia Britannica oder auch der Brockhaus - sterben aus und die jüngsten unter uns erwarten gar, dass sich eine Zeitschrift aus Papier wie ein interaktives Tablet verhalten müsse. Summa summarum, digitale Elektronik bestimmt mehr und mehr unseren Alltag.

Schnell stellt sich dann die Frage: Wird unser Leben, werden wir dadurch auch ‘digitaler’? Denken, handeln und leben wir durch den digitalen Wandel vielleicht anders? Oder führt uns dieser Wandel mitunter zu einer Annäherung an einen Technikdeterminismus oder gar an eine Technokratie? Die Antwort lautet meiner Einschätzung nach ‘ja’ und ‘nein’ zugleich. Natürlich scheint es durchaus logisch, dass wir das gute alte Papier verstärkt durch digitale Technologie ersetzen, die Handschrift durch das Tippen auf eine Tastatur oder einen Bildschirm und manuelle Arbeit durch automatisierte Apparaturen – allein schon der Geschwindigkeit und Bequemlichkeit halber. Jedoch glaube ich noch nicht daran, dass wir uns von der Digitalität vorschreiben lassen (müssen) wie wir zu leben haben.

Skeptiker, Datenschützer und Traditionalisten sehen dies oft anders. Sie warnen vor übertriebener Überwachung und Datenmissbrauch, vor Technikabhängigkeit und der (Über)Macht der Internetkonzerne Facebook, Google und Amazon. Der Jugend wird der unverantwortliche Umgang mit sozialen Medien vorgeworfen, die eCall-Technik - das ab 2015 bei Neufahrzeugen vorgeschriebene Notfrufsystem - wird ebenfalls misstrauisch beäugt und Massen von Smartphonisten wechseln in heilloser Panik von WhatsApp zu Threema da sie sich vor Facebook fürchten. Wie zu erwarten wird dem digitalen Umbruch dadurch ein hohes Risikopotential zugeschrieben.

Es lässt sich wohl einfach und lange darüber streiten ob der informationtstechnologische Wandel den wir durchleben im Kern gut oder schlecht ist. Eine Antwort darauf zu finden scheint mir im Augenblick jedoch nahezu unmöglich zu sein. Außerdem möchte ich diese Diskussion hier auch gar nicht führen. Die Frage die mich vielmehr beschäftigt ist die, ob wir selbst und somit unsere Gesellschaft digitaler wird. Wie bereits gesagt, lautet meine vorläufige Antwort ‘ja’ und ‘nein’. Ja, weil wir uns oft von den neuen Vorteilen der digitalen Lebensweise abhängig machen, sprich von der Möglichkeit der unendlichen Reproduzierbarkeit digitaler Daten, der stetigen Vernetzung und dem darauf aufbauenden wachsenden Kommunikationspotential sowie von der schier unbegrenzten Zugänglichkeit zu Information – egal zu welcher Zeit oder von welchem Ort aus. Und Nein, weil die meisten Errungenschaften der Digitalisierung eher einem evolutionären Prozess entspringen, denn einer andersartigen Revolution.

Was ich damit meine ist, dass wir natürlich digitale Technologien nutzen, diese jedoch in vielen Fällen von prä-digitalen Technologien abstammen. Ein Beispiel: Will man heute etwas allgemein gültiges erfahren, wird auf Wikipedia nach einem Begriff gesucht und man bekommt oft die Information die man braucht. Betrachtet man die Funktionsweise von Wikipedia, also die Weisheit der Masse, hätte man in vor-internetlichen Zeiten einfach die Person fragen müssen, die heute den Wikipedia Eintrag verfasst hat. Natürlich stammen viele Einträge nicht nur aus der Feder eines einzelnen und natürlich hätte man früher auch zunächst einmal jemanden kennen müssen, der dieses Wissen auch besitzt. Aber im Grunde genommen verändert sich das Wissen, das wir abfragen mit dem digitalen Wandel nicht zwingend, sondern oft nur der Zugang. Ein anderes Beispiel: Will man heute ein Produkt kaufen, nutzen viele Plattformen wie Amazon oder ebay. Doch auch wenn Kaufabwicklung und Zahlungsvorgang von überall aus und unheimlich schnell von Statten gehen können, ändert es nichts daran, dass sehr oft Produkte gekauft werden, die mit dem sonstigen digitalen Wandel nichts zu tun haben (Socken zum Beispiel).

Die Beispiele sollen zeigen, dass vieles was wir heute digital unterstützt erledigen vor nicht allzu langer Zeit auch anders, eben nicht-digital unterstützt möglich war und es heute auch oft noch ist. Ich würde sogar behaupten, dass nur ein Bruchteil von dem was heute digital gestützt abläuft durch den digitalen Umbruch auch entstanden ist. Digitalisierungsexperten egal welchen Kalibers werden nach diesem Artikel wohl die Wände hoch gehen. Ihnen wird es auf den Lippen brennen zu sagen, dass eben diese genannten digitalen Modalitäten das besondere an ihr selbst sind. Dass die Digitalität doch eben deswegen so spannend ist, weil sie sich über alle Lebensbereiche erstreckt und den Zugang zu nahezu allem verändert. Sie werden sagen wollen, dass es eben das ‘wie’ und das ‘drumherum’ ist, was so interessant und bahnbrechend ist. Und da werde ich ihnen auch nicht widersprechen können und wollen. Deswegen lautet meine Antwort eben auch: ‘Ja’ und ‘nein’.

Trotzdem möchte ich aufzeigen, dass die Digitalität das Rad nicht immer neu erfindet und dass wir uns nicht immer von dem digitalen ‘wie’ und dem digitalen ‘drumherum’ beeinflussen lassen müssen. Nicht jeder Kauf auf Amazon ist so unkompliziert bzw. so anders und neu, wie ein Einkauf in einem Geschäft. Und auch nicht jede Wikipedia-Recherche ist schneller oder effektiver, als einfach jemanden zu fragen. Und weil dies eben so ist, schwingt meiner Meinung nach auch oft ein Hauch von Nicht-Digitalität bei den sehr digitalen Momenten mit. Denn digitale Mittel werden heute bereits oft genug für nicht-digitale Dinge genutzt und machen diese dadurch noch lange nicht digital. Ebenso wie eigentlich rein digitale Dinge mit nicht-digitalen Mittel umgesetzt werden. Öffentliche Flashmobs werden online geplant, eine Unternehmensidee wird erst durch das Internet zum Start-Up, Online-Phänomene wie Anonymous erobern die Straßen und Computerspielinhalte schaffen es als Deko an die Wand oder auf Modestücke wie Gürtelschnallen und T-Shirts. Diese Vermengung von digitalen und non-digitalen Aspekten macht es zudem so schwer diese beiden Welten von einander zu trennen.

Vielen von uns wird es demnach oft nicht bewusst sein wie digital sie eigentlich handeln und denken, wie digital sie leben und sind – allein schon weil das Leben nicht trennscharf digital oder non-digital ist. Was wir aber versuchen können ist immer zu hinterfragen, ob eine gewisse Handlung, ein Gedanke, eine Information oder ein Prinzip digital geprägt bzw. aus der Digitalität hervor gegangen ist. Wir können versuchen uns immer wieder vor Augen zu führen, dass gewisse Dinge nicht zwingend digital sein müssen, auch wenn wir sie digital gestützt erledigen. Wir können aber auch versuchen zu akzeptieren, dass es Verhaltensweisen und Konzepte gibt, die der Digitalität geschuldet sind und diese entweder annehmen oder ablehnen. Auch, wenn wir die Frage nach der Digitalität der Welt nicht mit einem ‘ja’ oder ‘nein’ beantworten können, können und sollten wir diese Frage doch immer wieder stellen, um uns einer möglichen Antwort anzunähern und unser Bewusstsein für den digitalen Wandel zu schulen. Oft brauchen wir auch gar keine Antwort, so lange die Frage nur oft genug gestellt wird.

In diesem Sinne,

Euer und Ihr Timm Jelitschek // creatimm

[Note: Ich möchte an dieser Stelle noch für den nahezu inflationären Gebrauch des Wortes 'digital' in all seinen Varianten entschuldigen, aber leider wäre mir es sonst nicht möglich gewesen dieses Gedankenexperiment in geschriebene Worte zu gießen. Auch möchte ich darauf hinweisen, dass ich weder Hobby-Philosoph bin noch zu akutem Technikpessimismus neige. Dieser Beitrag dient rein als ein öffentliches Gedankenspiel, das den geneigten Leser vielleicht selbst zum Nachdenken anregt und - so hoffe ich - den einen oder anderen kritischen Kommentar provoziert.]

flattr this!


Viewing all articles
Browse latest Browse all 5

Latest Images